Warum muss Tee eigentlich ziehen?
Tee ist wahrlich kein Getränk für Ungeduldige. Schließlich muss man vor dem Genuss nicht nur warten, bis der heiße Tee auf eine trinkbare Temperatur abgekühlt ist, vorher muss der Tee erst einmal noch ziehen. Je nach Teesorte müssen Sie sich hier zwischen zwei und zehn Minuten gedulden. Die kürzeste Ziehzeit hat dabei grüner Tee, während Früchtetee und Kräutertee von allen Teesorten am längsten ziehen müssen. Aber warum muss Tee eigentlich ziehen? Das wollen wir in diesem Beitrag klären.
Ein Exkurs in die Chemie
Warum muss Tee ziehen? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir einen kleinen Ausflug in die Welt der Chemie unternehmen. Kurz gesagt muss Tee ziehen, damit die Inhaltsstoffe, die sich in den Teeblättern befinden, zu genüge ins Teewasser übergehen können. Denn schließlich sind es diese Inhaltsstoffe, die dafür sorgen, dass der Tee seinen charakteristischen Geschmack und seine besondere Wirkung erhält.
In den getrockneten Teeblättern von schwarzem Tee sind vor allem die Polyphenole Theaflavin und Thearubigin enthalten, die bei der Oxidation der Teeblätter entstehen. Sie sorgen beim schwarzen Tee sowohl für die typische Blatt- als auch Tassenfarbe. Zudem beeinflusst der Gehalt dieser Polyphenole auch das Aroma und den Geschmack des jeweiligen Tees.
Aber das sind selbstverständlich nicht die einzigen Stoffe, die in der Teepflanze zu finden sind. Forscher konnten inzwischen rund 700 Inhaltsstoffe ermitteln, über die die Teepflanze verfügt. Dazu gehören neben dem Koffein, das dem Tee seine wachmachende Wirkung verleiht, auch Gerbstoffe, Vitamine und Mineralien.
Bei den hier genannten Stoffen handelt es sich um sogenannte wasserlösliche Stoffe. Wird der Tee mit Wasser übergossen, so gehen die Inhaltsstoffe von den Teeblättern ins Wasser über. Die Moleküle dieser Inhaltsstoffe verfügen über eine gewisse Eigenbewegung. Dieses Phänomen können Sie bei der Teezubereitung gut selbst beobachten. Denn sicherlich ist Ihnen bereits aufgefallen, dass sich die Inhaltsstoffe der Teeblätter ganz von selbst im Wasser verbreiten und das, ohne dass Sie den Tee umrühren müssen. Das haben wir dieser in der Fachsprache Brown’sche Bewegung genannten Eigenbewegung zu verdanken.
Je wärmer das Teewasser, desto stärker wir die Eigenbewegung der Moleküle, wodurch sich die Inhaltsstoffe einfacher im Wasser verteilen können. Tee, der mit kaltem Wasser aufgegossen wurde, braucht deshalb deutlich länger zum Ziehen. So benötigt beispielsweise nach der Cold Brew Methode zubereiteter Tee mehrere Stunden, bis sich genügend Inhaltsstoffe im Wasser befinden.
Die Inhaltsstoffe beeinflussen Geschmack und Wirkung des Tees
Tee mit zu kurzer oder zu langer Ziehzeit hat meist nicht den besten Geschmack und erfüllt zudem auch nicht die gewünschte (wachmachende) Wirkung. Das liegt daran, dass bei falscher Ziehzeit entweder nicht genügend oder zu viele Inhaltsstoffe ins Wasser übergehen. Dabei geht es hauptsächlich um Gerbstoffe und die Aminosäure L-Theanin.
Gerbstoffe sind besonders bei schwarzem Tee relevant. Je länger schwarzer Tee zieht, desto mehr Gerbstoffe gehen ins Wasser über. Bei einer überzogenen Ziehzeit hemmen die Gerbstoffe die Wirkung des Koffeins, wodurch die wachmachende Wirkung des Tees langsamer einsetzt. Zudem sorgen Sie dafür, dass der Tee irgendwann einen unangenehm bitteren Geschmack ausbildet.
L-Theanin spielt dagegen bei grünem Tee eine wichtige Rolle. Grüner Tee enthält kaum Gerbstoffe, da dessen Teeblätter im Gegensatz zu schwarzem Tee nicht oxidiert werden. Viele Grüntee Sorten zeichnen sich durch einen sogenannten Umami-Geschmack aus. Der Begriff „Umami“ stammt aus dem Japanischen und bedeutet schlichtweg „lecker“. Diese Eigenschaft hat der grüne Tee dem L-Theanin zu verdanken. Auch hier gilt – damit der grüne Tee seinen Umami-Geschmack ausprägen kann, muss ausreichend L-Theanin im Teewasser vorhanden sein. Und dazu muss der Tee selbstverständlich erst einmal ziehen.
Bei grünem und schwarzem Tee sollten Sie deshalb unbedingt immer die vorgegebene Ziehzeit einhalten.
Kann man Tee, der zu lange gezogen hat, noch retten?
Selbstverständlich kann es mal passieren, dass der Tee in Vergessenheit gerät und folglich die Ziehzeit sehr stark überzogen wird. Anstelle eines leckeren Heißgetränks hat man dann eine bittere Brühe in der Tasse. Aber glücklicherweise lässt sich auch auf diese Weise verunglückter Tee meist noch retten.
Schwarzer Tee, der durch eine überzogene Ziehzeit bitter geworden ist, lässt sich oftmals mit etwas Milch und Zucker oder Honig wieder milde stimmen. Und da bei grünem Tee in der Regel mehrere Aufgüsse möglich sind, können Sie einen verunglückten grünen Tee einfach erneut aufgießen.
Früchtetee, Kräutertee und Rooibos Tee können im Grunde genommen überhaupt nicht überziehen. Hier müssen Sie sich folglich auch keine Sorgen um eine überzogene Ziehzeit machen.