In 80 Tassen um die Welt – Teerituale und ihre Bedeutung
Das Zubereiten von Tee gehört eigentlich zu den simpleren Angelegenheiten des Alltags. Wasser abkochen, Teebeutel oder Teesieb in die Tasse beziehungsweise Kanne geben, mit Wasser aufgießen, ziehen lassen – fertig! Die ganze Tätigkeit dauert in der Regel maximal zehn Minuten. In einigen Kulturen jedoch gestaltet sich der Teeaufguss deutlich komplizierter. Hier wird das Teetrinken zu einer regelrechten Kunst mit fest vorgegebenen Regeln und Abläufen. In diesem Beitrag wollen wir Ihnen einige der wichtigsten Teerituale vorstellen.
Der japanische Chado – wandeln auf dem Weg des Tees
Die wohl bekannteste und älteste Teezeremonie ist das japanische Teeritual, auch Chado genannt. Ins Deutsche übersetzt bedeutet dieser Begriff „Teeweg“. Und dieser Weg soll die Teilnehmer der Zeremonie zu Entspannung und innerer Einkehr führen. Seit über 1000 Jahren wandelt man in Japan schon auf dem Teeweg und seit dieser Zeit haben sich die Regeln dieses Rituals nicht verändert.
Es findet in einem speziellen Teehaus statt. Dabei handelt es sich um einen kleinen Pavillon, der sich in einem Garten befindet. Ein Teemeister leitet die ganze Zeremonie an. Dieser ruft die Gäste zu sich ins Teehaus, wo sie, nachdem sie sich die Hände gewaschen haben, auf Knien oder im Schneidersitz Platz nehmen. Jetzt beginnt der Teemeister das Teegeschirr mit Wasser und einem Seidentuch zu reinigen. Im Boden des Teehauses befindet sich eine Feuerstelle, über der währenddessen das Teewasser abgekocht wird.
Nun fängt die eigentliche Zubereitung des Tees an. In der Regel handelt es sich um Matcha, dessen Pulver zuerst mit etwas kaltem Wasser und einem Besen aus Bambus zu einer Paste verrührt wird. Danach wird das heiße Wasser dazugegeben und das Ganze unter erneuter Zuhilfenahme des Bambusbesens schaumig geschlagen. Dafür wird eine große Schale verwendet, aus der später auch alle Gäste trinken. Der Teemeister reicht diese zuerst dem Ehrengast, der sie danach an die anderen Teilnehmer weiterreicht. Zum Zeitvertreib führt man währenddessen Gespräche über Philosophie, Kunst und Kultur. Insgesamt kann diese Zeremonie bis zu fünf Stunden dauern.
China – Teekochen als Königsdisziplin
In China ist die Teezeremonie unter dem Begriff „Gongfu“ bekannt, was „Teekochen mit Wissen“ bedeutet. Sie ist weniger ausgefeilt als ihr japanisches Pendant und hat ebenfalls weniger strenge Vorgaben. Man will dem Tee, es handelt sich hierbei meist um Grüntee, seinen bestmöglichen Geschmack entlocken.
Auch hier wird zuerst das Teegeschirr gereinigt, was in diesem Fall durch ein Ausspülen mit kochendem Wasser geschieht. Bevor man die Teeblätter aufgießt, werden diese von den Gästen nach ihrer Qualität beurteilt. Danach erfolgt der erste Aufguss. Dieser dient der Reinigung der Blätter und wird niemals getrunken. Stattdessen prüfen die Gäste den Geruch des Tees, weshalb man diesen Aufguss auch als „Aufguss des guten Geruchs“ bezeichnet.
Erst die nachfolgenden Aufgüsse werden getrunken. Der „Aufguss des guten Geschmacks“ hat eine Ziehzeit von 30 bis 50 Sekunden und kann bis zu achtmal wiederholt werden. Ist dies der Fall, so spricht man von den „Aufgüssen der langen Freundschaft“. Jeder dieser Teeaufgüsse hat dabei seinen ganz individuellen Geschmack. Beim Einschenken des Tees wird stets strengstens darauf geachtet, dass alle Gäste die gleiche Menge an Tee in der gleichen Stärke erhalten.
Neigt sich die Zeremonie dem Ende zu, so werden die Teeblätter aus der Kanne entnommen und in eine saubere Schale gelegt. Die Blätter werden erneut unter den Teilnehmern umhergereicht und beurteilt. Zu guter Letzt wird das Teegeschirr abermals mit kochendem Wasser ausgespült. Abschließend wird die Kanne mit einem Leinentuch gründlich abgetrocknet.
Russland – starker Tee und süße Marmelade
Samowar – so nennt sich das Herzstück der russischen Teezeremonie. In unsere Sprache übersetzt bedeutet der Name in etwa so viel wie „Selbstkocher“. Vor ungefähr 300 Jahren hatte diese Teemaschine ihren Auftritt und ist seitdem nicht mehr aus der Teekultur Russlands wegzudenken. Steht einem der Sinn nach einer Tasse original russischen Tees, so muss als aller erstes der Samowar vorbereitet werden. Dazu wird dieser zuerst angeheizt – früher mit Holzkohle, heute in der Regel mit Strom – und sein Wasserkessel mit Wasser aufgefüllt.
Sobald dieses zu kochen beginnt, fängt man mit der Zubereitung des eigentlichen Tees an. Der Tee wird in einer kleinen Kanne zubereitet, die oben auf den Samowar aufgesetzt wird. Hier darf er bis zu vier Minuten ziehen, bevor er mit einem Sieb gefiltert wird und anschließend erneut seinen Platz auf dem Samowar einnimmt. Dadurch wird der Tee über einen langen Zeitraum hinweg heiß gehalten.
Im Grunde genommen handelt es sich bei dem Inhalt der Kanne nicht wirklich um Tee, sondern um ein Teekonzentrat, schließlich kommen hier gut und gerne 20 Teelöffel Tee auf einen Liter Wasser. Dieses Konzentrat wird in der russischen Sprache „Sawarka“ genannt und muss vor dem Trinken noch mit heißem Wasser aus dem Kessel des Samowars aufgegossen werden. Bedienen kann sich hierbei jeder selbst und auch das Verhältnis zwischen Sawarka und Wasser kann ganz nach dem individuellen Geschmack erfolgen.
In der Regel wird für die russische Teezeremonie ein starker schwarzer Tee verwendet, zum Beispiel Tees aus dem indischen Assam oder der chinesische Rauchtee. Traditionell wird der Tee ohne Milch und Sahne getrunken, dafür aber mit Würfelzucker gesüßt oder mit etwas Zitronensaft verfeinert. Für uns hierzulande wohl etwas kurios, dafür in Russland umso beliebter ist die Zugabe von Warenje. Dabei handelt es sich um eine Art Konfitüre, die in den heißen Tee eingerührt wird.
Das Teetrinken in gemütlicher Runde sorgt in den kalten Wintermonaten nicht nur für Wärme, sondern bietet auch eine gute Gelegenheit, um familiäre Angelegenheiten zu klären oder Geschäfte zu besprechen. Aber eines ist bei der russischen Teezeremonie immer besonders wichtig – die Gemeinschaft.
Türkei – mit Zucker, aber bitte ohne Milch
Zwischen der türkischen und der russischen Teezeremonie finden sich erstaunlich viele Parallelen. Wird in Russland der Samowar verwendet, so kommt in der Türkei der Semaver zum Einsatz. Dabei handelt es sich ebenfalls um einen aus zwei Gefäßen bestehenden Teeautomaten, der mit Kohle oder Strom beheizt wird. Im unteren Teil des Semaver wird Wasser erhitzt, während im oberen Teil ein starkes Teekonzentrat gekocht wird. Und dieses Konzentrat hat es wirklich in sich, denn ein Teelöffel Tee pro Glas darf darin fünfzehn bis zwanzig Minuten ziehen.
In der Türkei trinkt man Tee übrigens nicht aus Tassen, sondern aus tulpenförmigen Gläsern. In diese wird nun das Teekonzentrat gegeben und anschließend mit dem heißen Wasser aus der unteren Kanne aufgefüllt. Die Dosierung ist dabei ganz dem jeweiligen Teetrinker überlassen. Die beliebtesten Varianten sind hierbei der sanfte und helle Acik Cay und der deutlich stärkere und dunkle koyu Cay.
Für die türkische Teezeremonie wird ausschließlich schwarzer Tee verwendet, der am Schwarzen Meer angebaut wird. Traditionell werden in türkischen Tee zwei Zuckerwürfel gegeben. Der Tee wird nach Zugabe des Zuckers jedoch nicht umgerührt. Der Zucker löst sich daher nicht vollständig auf, sondern setzt sich am Boden des Teeglases ab. Auf diese Weise können gleich mehrere Gläser mit einer Portion Zucker gesüßt werden. Im Osten der Türkei trinkt man Tee auf eine ganz besondere Weise – dort legt man sich den Würfelzucker nämlich direkt unter die Zunge. So soll ein Zuckerwürfel für bis zu 30 Gläser Tee ausreichen. Milch und Sahne jedoch sind in der Türkei verpönt, da diese den eigentlichen Geschmack des Tees zu sehr verändern. Fragt man während einer türkischen Teezeremonie nach einem Schuss Milch, so kann dies im schlimmsten Fall als eine Beleidigung verstanden werden.
In der Türkei wird in der Regel unabhängig von der jeweiligen Tageszeit, sowohl vor als auch nach jeder Mahlzeit ein Glas schwarzer Tee getrunken. Einen spirituellen Hintergrund hat die türkische Teezeremonie übrigens nicht. Hier stehen Geselligkeit, Gastfreundschaft und ein gemütlicher Austausch unter Freunden im Vordergrund.
England – ein stilvoller Zeitvertreib
Den britischen Nachmittagstee um fünf Uhr kennt wahrscheinlich jeder von Ihnen. Auch hierbei handelt es um eine Teezeremonie, wenn auch um eine deutlich jüngere. Hier gibt es ebenfalls feste Regeln, die es einzuhalten gilt. Nimmt man an einem echten Afternoon Tea teil, so erwarten einen dort edle Kleidung und noch edleres Geschirr.
Bei dem verwendeten Tee handelt es sich um losen Schwarztee, dessen Blätter während der gesamten Tea Time in der Kanne verweilen. Der Tee wird daher immer stärker und wird bei Bedarf immer wieder mit heißem Wasser verdünnt. Er wird mit Milch oder Zitrone verfeinert, aber niemals mit beidem gleichzeitig. Die Gäste schenken sich nie selbst ein. Dies ist allein die Aufgabe des Gastgebers. Der Teelöffel darf beim Umrühren nicht an das Porzellan schlagen. Ebenfalls ungern gesehen ist es, wenn der Löffel während des Trinkens in der Tasse verbleibt oder gar abgeleckt wird. Stattdessen streift man ihn vorsichtig an der Innenseite der Tasse ab und legt ihn danach auf die Untertasse. Diese wird beim Trinken zusammen mit der Tasse angehoben. Zum Tee serviert man allerlei Süßgebäck und Sandwiches.
In früheren Zeiten galt der Nachmittagstee als Zeitvertreib, der der britischen High Society vorbehalten war. Dabei konnte man sich entspannt über den neusten Klatsch und Tratsch austauschen. Mittlerweile erfreut sich dieses Ritual in allen Bevölkerungsgruppen größter Beliebtheit.
Deutschland – gemütliches Beisammensein im hohen Norden
Auch hierzulande lassen sich Teezeremonien finden. Dazu müssen wir uns in nördliche Gefilde begeben. Nach Ostfriesland, um genau zu sein. Dort wird regelmäßig die „Teetied“ abgehalten. Dabei trinkt man einen sehr starken Schwarztee, den man für mindestens fünf Minuten ziehen lässt. Dieser wird mit „Kluntje“ gesüßt. Das sind große Brocken aus weißem Kandis, die in die Tasse gelegt werden, bevor man den Tee eingießt. Danach lässt man langsam die Sahne in die Tasse rinnen. Sowohl Kandis als auch Sahne werden nicht in den Tee eingerührt. Stattdessen lässt man zu, dass sich die einzelnen Komponenten in Schichten anordnen. Somit hat jeder Schluck Tee seinen ganz eigenen Geschmack.
Im Gegensatz zu den anderen Teezeremonien bekommt hier der Gastgeber die erste Tasse. Es ist an ihm zu prüfen, ob der Tee eine angemessene Qualität hat. Ist diese zufriedenstellend, so erhalten auch die anderen Gäste ihren Tee. Insgesamt werden mindesten drei Tassen pro Teilnehmer getrunken.
Der Teelöffel wird während der ganzen Zeremonie kein einziges Mal benutzt, sondern kommt erst ganz am Ende zum Einsatz. Hier dient er als Signal, um zu zeigen, dass nach der dritten Tasse Tee keine weitere mehr gewünscht ist. Dazu legt man ihn einfach in der Tasse ab. Das oberste Ziel der ostfriesischen Teezeit ist es, eine gemütliche und freundschaftliche Atmosphäre zu schaffen, in der man entspannt eine gute Tasse Tee genießen kann.
Auch Sie haben wahrscheinlich Ihr ganz eigenes Teeritual, Sie haben nur noch nichts davon gemerkt. Egal ob Sie nun beim morgendlichen Lesen der Zeitung eine Tasse Tee trinken oder abends beim Schmökern in einem spannenden Buch – versuchen Sie einmal, diese Momente bewusster zu genießen. So schaffen Sie sich einen festen Ankerpunkt im Alltag, mit dessen Hilfe Sie auch in stressigen Zeiten zur Ruhe finden können.